Heute in der FAZ entdeckt (und wir können nur zustimmen):
„Weiße Wände sind eine Zumutung“
Farbberaterin Juliana von Gatterburg über den Hang der Deutschen zur Farblosigkeit, warum zarte Nuancen den Unterschied machen und wie wir den passenden Ton finden.
Die Deutschen und die Farbe - wenn Sie uns charakterisieren müssten, welche Farbe haben wir eigentlich?
Hm, wenn ich die Handwerker frage, dann ist Weiß oder ein abgetöntes Weiß immer noch die Farbe, die wir am häufigsten verwenden – gerade auch im Privaten. Und das seit Jahrzehnten.
Vielleicht, weil Weiß die einfachste Lösung ist? Es erfordert einen gewissen Mut, Wände farbig zu gestalten.
Im Gegenteil. Ich halte es mittlerweile für verdammt mutig, in einem weißen Haus zu leben, oder Menschen in einem weißen Büro arbeiten zu lassen.
Ist das Ihr Ernst?
Ja, denn je länger ich mich mit dem Thema Farbe beschäftige, desto weniger verstehe ich, wie man sich weiße Räume zumuten kann.
Zumuten – inwiefern?
Farbe hat so viele Vorzüge. Sie stimuliert unsere Sinne, erleichtert uns die räumliche Orientierung, sie kann das soziale Miteinander positiv beeinflussen, und auch unseren Gemütszustand. Mit Farbe können wir eine bestimmte Atmosphäre schaffen. Warum gehen wir ins Grüne? Warum fahren wir gerne in einen Morgen, an dem sich der Himmel rosarot und blau färbt? Weil uns das guttut. Doch zu Hause und im Büro muten wir uns Weiß zu. Das verstehe ich nicht mehr.
Interessant, dass Sie das so sehen. Für jemanden, der nicht so farbaffin ist wie Sie, ist es allerdings eine Herausforderung, sich für graue Wände zu entscheiden oder ein grünes Bad.
Da fehlt uns Deutschen offenbar die Übung. In anderen Ländern geht es deutlich farbenfroher zu. Neulich auf einer Reise nach Marokko war ich geradezu überwältigt von der Farbvielfalt und -intensität – in der Natur, aber auch bei den Stoffen. Auch unsere europäischen Nachbarn schätzen Farbe mehr als wir. Ob in England, Frankreich, oder denken Sie an die Niederlande, überall geht es farbenfroher zu.
Warum haben wir dafür kein Händchen?
Weil uns die Erfahrung damit fehlt, oder abhanden gekommen ist. Es fällt auf, dass die Farblosigkeit mit der Nachkriegsmoderne Einzug gehalten hat.
Lange galt im deutschen Design Schwarz-Weiß als Ausdruck ästhetischer Kompetenz. Das reine Weiß, das strenge, maskuline Schwarz.
Ein bestimmter Architektentypus hatte das verinnerlicht. Neulich war ich bei Bekannten eingeladen, die Kunstsammler sind und ein neues Haus bewohnen. Der Architekt hatte gemahnt: Dieses Haus dürft Ihr nie möblieren. Es muss seine skulpturale Ausstrahlung bewahren!
Und da würde Farbe stören?
Der Architekt als Gestalter scheut die emotionale Aussage. Die aber treffen wir mit Farbe sofort. Weiß dagegen ist vollkommen nichtssagend. Für eine weiße Wand bekommen Sie kein Kompliment. In dem Moment, in dem ein Farbton wahrnehmbarer ist, führt er zum Gespräch. Ach, das ist aber ein schön zartes Rosa! Plötzlich wird die Wand sichtbar, oder der Heizkörper. Damit rückt das Thema ins Bewusstsein. Ein Farbton ist ja nicht nur schön, warm oder kalt. Er kann so viel mehr sein. Ein romantisches Renaissance-Rosa ist etwas anderes als ein freches Jukebox-Pink. Aber so differenziert sprechen wir noch nicht über Farbtöne.
Meiner Wahrnehmung nach ändert sich das Interesse an Farbgestaltung gerade, vor allem bei jüngeren Planern und Planerinnen. Nur agieren sie meist noch vorsichtig.
Wer, wie die meisten von uns, lange nur in Weiß gelebt hat, denkt bei Farbe gleich an etwas Intensives. Es geht aber nicht unbedingt um Knallfarben. Schon eine zarte Nuance macht den Unterschied. Ecru zum Beispiel. Da kommt keiner und sagt, das ist aber gewagt. Weißtöne sind ein Anfang, sie sind weicher, geschmeidiger als Reinweiß, ohne dass man damit ins Risiko geht.
Schwarz-Weiß als Trend ist in der Inneneinrichtung gebrochen. Viele wünschen sich Farbe an den Wänden, kapitulieren aber angesichts der gewaltigen Auswahl. Was raten Sie?
Die Auswahl ist mittlerweile wirklich riesig. Aus meiner Sicht hilft es, dass wir heute nicht mehr aus 2328 Farbnuancen des RAL-Systems aussuchen müssen. Immer mehr Hersteller bieten kuratierte Paletten an, auf denen Farbtöne charakterisiert werden – für welche Flächen sie sich eignen, mit welchen anderen Tönen sie sich gut kombinieren lassen. Die hochpreisigen Anbieter haben damit angefangen, aber mittlerweile gibt es das auch im Baumarkt. Statt einem Eimer weißer Farbe mit einer Tube Abtönpaste kann man dort fertiggemischte Töne wie „Mauve – Farbe der Blüten“ oder „Dächer von Paris“ kaufen. Da entstehen gleich Bilder im Kopf, das macht es einfacher.
Einfacher vielleicht, aber es bleibt immer noch die Qual der Wahl und vor allem die Sorge, bei der Auswahl grässlich danebenzugreifen. Wie findet man den richtigen Ton?
Es gibt nicht den richtigen Ton, sondern fast immer mehrere Töne. Nur, deren Wirkung ist dann halt unterschiedlich. Das ist ein wichtiger Punkt. Insofern muss man sich nicht zu sehr sorgen.
Aber buchen sich die Kunden nicht eine Farbberaterin wie Sie, damit Sie sie vor Fehlgriffen bewahren?
Mir geht es um Hilfe zur Selbsthilfe. Vor anderthalb Jahren habe ich ein Ehepaar beraten, dem ein für meine Begriffe sehr gewagtes Farbkonzept vorschwebte. Die beiden wollten gerne verschiedene Blau-Grün-Töne an Wänden und Decken, dazu kam ein sehr lebhafter Einrichtungsmix. Ich habe versucht, sie bei der Auswahl so gut wie möglich zu begleiten. Sie wollten von mir Absolution. Aber ein Urteil steht mir nicht zu.
Geht gar nicht, das gibt es bei Ihnen nicht?
Ich gebe schon zu bedenken, dass, wie in diesem Fall, eine sehr unruhige Atmosphäre entsteht, und rate dringend, auch einen Raum zu schaffen, in dem die Bewohner zur Ruhe kommen. Ferrari-Rot, damit kann man sich überfordern. Klar, da interveniere ich. Aber das war ein extremes Beispiel. Meist ist das Gegenteil der Fall.
Erstmal mit einer Wand anfangen, wäre das Ihr Rat für Zögerliche?
Nein. Das ist halbherzig. Dadurch entsteht eine Unwucht. Achten Sie mal darauf. Eine farbige Wand mit einer farbigen Küchenfront und der Rest bleibt Weiß – da passiert auf der einen Seite ganz viel, während die übrigen Wände verlieren. Wer sich für eine Akzentwand entscheidet, sollte die anderen farblich anpassen.
Ihr Tipp für dunkle Räume: Soll man sie farblich aufhellen?
Nur Licht kann Licht erzeugen. Ein dunkler Raum braucht deshalb eine gute Beleuchtung. Farbtöne können aber die Lichtstimmung beeinflussen, eine Idee von Licht erzeugen.
Kommt da nicht wieder Weiß ins Spiel?
Ganz sicher nicht. Weiß vergraut. Überlegen Sie, welche Funktion der Raum hat. Im Fernsehzimmer zum Beispiel würde ich die kuschelige Atmosphäre verstärken, zum Beispiel mit einem intensiven, dunkleren Petrol. Wenn es eine Küche ist, in der man auch mal sitzt, die auch tagsüber genutzt wird, passen oft Gelb-Orange Nuancen.
Lassen Sie uns noch über Farbqualitäten sprechen. Es gibt Farben, die fallen durch ihre ganz besondere Intensität auf, unabhängig davon, ob es ein kräftiger oder zarter Ton ist. Andere dagegen sind eher schrill, wirken aber gleichzeitig auch merkwürdig flach. Woran liegt das?
Daran, ob sie viele oder wenige Pigmente enthalten. Le-Corbusier-Farben, Porter’s Paints, Little Green, Caparol Icons zum Beispiel enthalten alle ganz viel Pigmente. Vor allem Kalk- und Lehmfarben reagieren wegen ihrer kristallinen Struktur ausgezeichnet auf Licht. Dadurch wird das Licht stärker reflektiert als von synthetischen Pigmenten. Unser Auge nimmt diese Farben daher ganz anders wahr. Da entsteht Tiefe, Stofflichkeit – oder umgekehrt sieht eine Fläche einfach nur angemalt aus.
Was meinen Sie, wird mehr Farbe sich bei uns durchsetzen?
Wenn man an all ihre Vorzüge denkt, ja. Ich vermute, dass unsere Urenkel sagen: Stell Dir mal vor, zu Zeiten meiner Urgroßmutter haben die Menschen in total weißen Häusern gelebt – dass so etwas überhaupt erlaubt war.
Das Gespräch führte Birgit Ochs.
Juliana von Gatterburg kam über ihre Stelle bei einem Inneneinrichter zur Farbe. In Düsseldorf leitete sie den Showroom von Farrow & Ball, bevor sie als Farbberaterin zu Caparol Icons wechselte.
Quelle: FAZ, Sonntag 08.01.2023
https://zeitung.faz.net/fas/wert-wohnen/2023-01-08/b769c324511ab2b0f7f7c6a70cb81cbd/?GEPC=s5